
6. Juli 2025
von Alexandra Lux
Wie wichtig kindliches Spiel ist
So einfach und so effektiv
Gerald Hüther und Christoph Quarch fordern mit ihrem Buch „Rettet das Spiel“ wieder mehr qualtiative Spielzeiten für Kinder. Im Spiel entwickelt sich das kindliche Gehirn, ihre Persönlichkeit formt sich. Seit Beginn der Menschheit ist Spiel auch gleichzeitig Bildung.
Inspiriert zu diesem Artikel hat mich Michael Nehls, der sich in seinem Buch „Das indoktrinierte Gehirn“ mit vielen Facetten der Einflüsse unserer heutigen Um- und Lebenswelt auf das Gehirn beschäftigt. Auch die gegenwärtig überall geführte Diskussion um die Nutzung von sozialen Medien und digitalen Spielen von Kindern und Jugendlichen, ist mir ein Anlass, auf diese wichtige Beschäftigung von Kindern hinzuweisen.
Michaels Nehls zitiert den Psychologieforscher Peter Otis Gray, dass seit ca. 1960 das freie Spiel von Kindern mit ihren Alternsgenossen in den Industriestaaten stark zurückgegangen ist. Das stellte er bereits 2011 fest. D.h. da sind die letzten 15 Jahre gar nicht mit einbezogen! Gleichzeitig stiegen bereits damals Angstzustände, Depressionen, Gefühle von Hilflosigkeit und Narzissmus stark an.
Ich finde das höchst beängstigend!
Nehls führt aus, welche Fähigkeiten freies, unbeobachtetes Spiel formen (vgl. S. 93), die ich kurz mit meinen Gedanken erläutere.
Intrinsische Motivation etwas zu tun und dadurch Kompetenzen entwickeln
Nur wenn Kinder nicht ständig Vorgaben abzuarbeiten und zu erfüllen haben, können sie sich frei, von innen heraus zu Tätigkeiten entscheiden. Ihre Intuition findet genau das, worin sie die nächste, für sie wichtige, Fähigkeit entwickeln können.
Entscheidungen treffen und Probleme lösen
Das können Kinder nur lernen, wenn sie die Möglichkeit dazu haben. Das bedeutet, dass Erwachsene sich nicht immer einmischen und den Kindern dies abnehmen, damit es schneller geht. Auf lange Sicht wird damit keine Zeit gespart, sondern Kindern die Entwicklung dieser Fähigkeiten vorenthalten. Es ist keine Hilfe, wenn Erwachsene alles für die Kinder regeln; es ist die Störung einer gesunden Entwicklung.
Selbstkontrolle ausüben und Regeln einhalten
Zu Selbstkontrolle gehört, dass Kinder sich selbst kontrollieren können. Dass Erwachsene da sind, sie dabei begleiten. Maria Montessoris Leitsatz „Hilf mir, es selbst zu tun.“ besagt alles. So können wir Kindern helfen, sich zu kontrollieren und Regeln einzuhalten, in dem wir sie auf Augenhöhe in ihrer Tätigkeit und Entwicklung begleiten.
Freunschaften schließen und mit anderen Gemeinschaft erleben
Mit anderen Kontakt aufzunehmen und Freundschaften aufzubauen, sowie diese zu halten ist nicht so einfach. Kinder lernen dies, indem sie uns beobachten können, wie wir mit anderen interagieren und dann auch in Institutionen selbst Kontakte knüpfen. Dazu brauchen Kinder Räume und auch die Möglichkeit Konflikte mit Gleichaltrigen selbst zu lösen. Maximal mit einer mediatorischen Begleitung.
Freude erleben
Echte Freude im Tun entsteht durch die freie Wahl der Tätigkeit. Maria Montessori beobachtete die „Polarisation der Aufmerksamkeit“, ein Flow-ähnlicher Zustand der sich nur durch selbstgewählte Tätigkeiten einstellte und bei den Kindern eine tiefe Befriedigung auslöste. Im gemeinsamen Spiel entwickeln Kinder Varianten und untereinander abgestimmte, spontane Abläufe, die ebenso in eine große Zufriedenheit und Freude führen.
Was ist zu tun?
Die Forderung nach mehr freiem Spiel bedeutet nicht, die Kinder ab sofort ständig sich selbst zu überlassen. Sie stellt an uns Erwachsene hohe Anforderungen. Wir müssen Räume für freies, unüberwachtes Spiel schaffen. Das bedeutet, Vertrauen in die Kinder haben, dass sie altersgemäße Dinge alleine schaffen. Das fördert auch die Selbständigkeit, somit auch die Erfahrung von Selbstwirksamkeit. Diese ist eine Grundlage für Resilienz und psychische Gesundheit. Doch ich beobachte häufig, dass Eltern gar nicht mehr klar ist, was „altersgerecht“ ist. Es gibt keine Möglichkeiten, sich an Beispielen zu orientieren, da wir in einer „Sicherheitsgesellschaft“ leben, die Kinder einengt und Eltern zu Wachhunden degradiert.
Somit müssen Eltern wieder lernen, was kindliches Spiel bedeutet und wie sie es ermöglichen können. Kinder finden normalerweise von selbst ins inutitive Spiel, wenn wir sie lassen. Doch sie dürfen auch Anleitungen, Anregungen von Erwachsenen bekommen. Keine Instruktionen, sondern Angebote, die sie annehmen oder ablehnen können. So finden sie in ihre selbstgesteuerte Eigenständigkeit.
Unterlassen wir diese Spielräume und Angebote zum Spiel, stopfen wir die Kinder ständig voll und zeigen ihnen, dass sie abhängig von Plänen, Vorgaben und fremder Organisation sind. Im Alltag zwängen wir sie in unseren erwachsenen, getakteten Ablauf. Sie müssen funktionieren und diesen Wahnsinn mitspielen. Ich höre immer wieder von Grundschulkindern, dass sie zu Hause kaum Zeit zum Spielen haben. Dabei haben sie sicher überfüllte Kinderzimmer. Für freies, kreatives Spiel braucht es eigentlich nicht mal viel Spielzeug, sondern FREI-Raum.
Wie wir Kindern wirklich helfen können
Kinder dürfen auch Langeweile erfahren. Ja, das ist anstrengend für Eltern und Kinder, denn Langeweile bringt keine kurzfristige Befriedigung fürs Gehirn. Ist Kindern langweilig, sollten wir am besten gar keine Vorschläge machen, es ist eh nicht das Passende dabei, sondern das ungute Gefühl bestätigen: „Dir ist langweilig, du kannst dich für nichts entscheiden. Das fühlt sich gerade nicht gut an.“ Das Kind fühlt sich gesehen, nicht gegängelt. Aus Langeweile kann echte intrinsische Motivation zu einer Beschäftigung und Kreativität entstehen. Ablenkung durch Vorschläge oder digitale Medien (dazu demnächst auch mehr!) verhindern dies und so geraten Kinder in eine dauernde Abhängigkeit. Sie lernen auch keinen Bedürfnisaufschub, der gerade im sozialen Miteinandern einer Gemeinschaft so notwendig ist.
Astrid Lindgren drückte es so aus: „... und dann muss man ja auch noch Zeit haben, einfach dazusitzen und vor sich hin zu schauen.“ – Wie beneide ich alle, die Langeweile haben!
Wenn wir Kindern und Jugendlichen Gutes tun wollen, dann befreien wir sie von unserem Druck, ständig effektiv zu sein und Leistung zu bringen. Denn bleibt keine freie Zeit, wird auch das Lernen nicht besser. Im Gegenteil. Das wissen wir selbst, wenn wir keine eigene unverplante Zeit mehr erleben können. Es führt in den Burn out. Den gibt es auch bei Kindern und Jugendlichen. Wie Peter Otis Gray oben beschrieb.
Das geht. Es bedeutet, dass Erwachsene an ihrer Haltung, der kindlichen Entwicklung gegenüber, arbeiten und diese auf die Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen, sowie deren wahrhaftiger Begleitung ausrichten. Dafür braucht es uns; Kinder und Jugendliche brauchen uns! Eltern und Pädagogen, die sich in Zurückhaltung und gleichzeitiger Präsenz üben.