
17. Mai 2025
von Alexandra Lux
Bewegung ist Leben
… und so wichtig fürs Lernen
Dass Bewegung wichtig ist, darüber sind wir uns wohl alle einig. Dass viele Kinder unter Bewegungsmangel leiden, ist auch kein Geheimnis. Und wie oft werden sie an ihrem Bewegungsdrang gehindert, weil es stört: es stört die Erwachsenen.
Untereinander und mit den Eltern raufen und Kräftemessen ist weit mehr als nur ein Kinderspiel. Umgebungsbedinungen und zeitliche Einschränkungen durch Schule und Verpflichtungen verhindern die so notwendige Bewegungsentwicklung.
Neun Bewegungsgrundformen
Vor einiger Zeit sind mir die neun Bewegungsgrundformen „über den Weg gelaufen“. Mir war das so nicht bekannt und als ich mich ein bisschen damit beschäftigt habe, wurde mir die Tragweite bewusst. Daher möchte ich mit diesem Artikel darauf aufmerksam machen. Für den Sportwissenschaftler Jürgen Weineck war es sehr wichtig, größten Wert auf die Entwicklung eines umfassenden Bewegungsschatzes zu legen. Nicht nur als solide Basis für ein späteres gezieltes Sporttraining. Zu den Grundformen der Bewegung zählen:
- laufen und springen
- balancieren
- rollen und drehen
- klettern und stützen
- schaukeln und schwingen
- rhythmisieren und tanzen
- werfen und fangen
- kämpfen und raufen
- rutschen und gleiten
Die natürliche Entwicklung und ihre Hindernisse
All diese Bewegungsformen testen und üben Kinder im Normalfall von alleine in allen möglichen Situationen. Sie haben Freude daran, doch so oft werden sie ausgebremst in ihrer Entwicklung. Erwachsene, egal ob Eltern, Großeltern oder Pädagogen im professionellen Kontext haben oft Angst, dass sich die Kinder dabei verletzen.
Das kann natürlich passieren Unfälle, natürlich kann das Kind sich verletzen. Doch das gehört zu einer gesunden Entwicklung auch dazu. Es sind Körper- und Grenzerfahrungen. Mehr dazu auch unten.
Oft passen diese Bewegungserfahrungen auch nicht in den Ablauf der Erwachsenen. Auf dem Mäucherchen zu balancieren dauert länger und will ggf. wiederholt werden, doch das Ziel ruft. Freude, Jubel oder auch Schmerz können laut ausfallen und stören dann das Umfeld.
So werden Kinder ständig in ihren Erfahrungen, in ihrere Bewegung beschnitten.
So wichtig für die Entwicklung
Mit diesen Bewegungserfahrungen trainieren die Kinder ihr Körperbewusstsein und ihre Geschicklichkeit. Die Koordination der Grobmotorik und das Kennenlernen des Körpers sind grundlegend wichtig für weitere Lernprozesse, vor allem im schulischen Kontext.
Sich selbst einschätzen können, die eigenen Grenzen kennen, das lernen Kinder nur im eigenen Tun. Werden sie auf die Rutsche gesetzt, ohne selbst hinaufzuklettern, haben sie zwar Spaß beim Rutschen, können diese Erfahrung jedoch nicht einordnen und mit der Anstrengung des Kletterns in Verbindung bringen. Auch die unbewusste Erkenntnis, eine Herausforderung zu meistern, sich anzustrengen und dann eine „Belohnung“ zu bekommen schult die Anstrengungsbereitschaft, die wir im späteren Leben immer wieder brauchen. Ich beobachte, dass diese den meisten Kindern und Jugendlichen heute fehlt. Ihnen wurden viele Anstrengungen und Hindernisse einfach aus dem Weg geräumt. Das ist keine Liebe, das ist Eingreifen in die natürliche Entwicklung. Körperlich, wie seelisch. Bewegung ist ein Grundbedürfnis.
Was mit diesen Bewegungserfahrungen geschult wird
Eine Vielzahl von Fähigkeiten, die als Parameter für die Schulreife herangezogen werden, werden einfach im Spiel, im Ausprobieren herausgebildet. Die natürliche, uneingeschränkte Bewegung von Kinder ermöglicht all dies.
- Allgemeine Kräftigung der Muskeln – viele Kinder haben kaum mehr Muskeltonus, dadurch wird viel Energie verbraucht, die für andere Anstrengungen fehlt
- Körperbewusstsein – wo endet mein Körper, wie deht er sich aus, wie koordiniert er sich, damit einher geht auch die Raumwahrnehmung
- Emotionen können ausgelebt werden – Freude wird zum Ausdruck gebracht, auch überschüssige Energie oder Ärger werden abgebaut
- Gleichgewichtssinn und beidseitige Geschicklichkeit werden geschult
- Auge-Hand-Koordination ist nicht nur für feinmotorische Tätigkeiten wichtig, sondern auch für das Schreiben
- Gehirnentwicklung – durch vielfältige Bewegungen und Körpererfahrungen werden neue Netzwerke im Gehirn erstellt; die verstärkte Sauerstoffzufur fördert die Durchblutung
- Rhythmusgefühl – wichtig nicht nur für Bewegungen, sondern vor allem auch für den Lese-Schreibprozess; für das Erkennen von Lauten, Systematik in der Sprache und die Rechtschreibung (Phonetik)
- Selbstorganisation und Sicherheit – wer seinen Körper kennt, kann mit ihm umgehen und Bewegungen kontrollieren; kräftige Bänder, Sehnen und ein trainierter Muskelapperat schützt vor Verletzungen; auch abrollen bei Stürzen ist wichtig
- sensomotorische Entwicklung – Nerven, die stimuliert werden bilden im Gehirn mit den entsprechenden Muskeln für die Bewegungen neue Netzwerke, auf die in anderen Situationen automatisiert zurück gegriffen werden kann
Wie das alles unterstützt werden kann
Wie schon oben beschrieben, am einfachsten die Einschränkungen vermeiden. Es muss nicht unbedingt ein Turnkurs sein, freie Bewegung in der Natur, Barfusslaufen, Radfahren, auf Bäume klettern, sich beim Balancieren erproben, das alles ist ohne Hilfsmittel möglich. Kinder wollen und müssen sich bewegen. Es geht nicht einfach nur darum, weil sie nicht stillsitzen können, sondern weil ihr Körper und ihr Gehirn sich entwickeln wollen.
Hilfestellungen geben, die dem Kind ermöglichen, selbst den nächsten Schritt zu tun. Elfriede Hengstenberg hat vielefältige Materialien entwickelt, mit denen Kinder im Innenbereich ihre Bewegungslust ausleben können. Sie selbst drückte es selbst so aus: „Ich lasse die Kinder also grundsätzlich selbständig forschen und entdecken...und bereite Gegenstände und Geräte vor, die die Kinder verlocken, damit zu experimentieren.“
Jede Hilfe, die wir in jedem Bereich dem Kind aufdrängen oder vorenthalten, behindert das Kind in seiner gesunden Entwicklung. Gunda Frey beindruckte mich u.a. mit diesem Satz: „Kinder entwickeln Störungen, weil wir sie in ihrer Entwicklung stören.“
Und das bedeutet nicht, sie einfach laissez-faire machen zu lassen, sondern ihre Entwicklung und Bedürfnisse beobachten und ihnen das ermöglichen, was sie gerade brauchen. Interessantes von Gunda Frey.