4. June 2019
von Alexandra Lux
Lernen in die Hand nehmen – im Zeitalter der Digitalisierung
Ein Teilbericht zu den Krimmler Montessori-Tagen
Der Bundesverband Montessori Österreich (MoeB) veranstaltete die 14. Krimmler Montessori – Tage. Der ganze Ort war mit eingebunden, wer dieses Wochenende durch den Ort streifte, hatte mit Sicherheit etwas mit Montessori zu tun.
Zwei Vorträge stimmten am Nachmittag in das Symposium zum Thema „Begreifen und Verstehen – Lernen in die Hand nehmen“ ein. Unter 18 Arbeitskreisen konnte man sich zwei für den kommenden Tag aussuchen – wobei die Auswahl wirklich schwer viel. Am dritten Tag schlossen zwei weitere Vorträge das Symposium ab. Für das leibliche Wohl war köstlich gesorgt, Pausen boten Gelegenheit zum Netzwerken und einkaufen bei den diversen Ausstellern.
In mehreren
Blogbeiträgen möchte ich meine Eindrücke schildern…
Zunächst zum Eingangsvortrag von Prof. Dr. phil. habil. Tanja Pütz aus Kiel.
Ich „kenne“ sie aus dem Film und einem ihrer Bücher und war sehr neugierig, sie live zu erleben. Ihr Thema war: „Online – Offline?! Herausforderung für ein zeitgemäßes Lernen“
Digitalisierung ist ja in aller Munde. Wer was auf sich hält im Bildungsbereich, schreibt das groß auf die Fahne! Schulen werden mit Tablets überschwemmt, interaktive Whiteboards werden eingebaut – nicht oft können sie nicht benutzt werden. Daher ist die Digitalisierung in der Montessori-Pädagogik eine spannende Geschichte! Hier wollen wir Sinneserfahrungen, das Tun, das Anfassen, das Be-Greifen in den Vordergrund stellen. Wie passt dann die Digitalisierung dazu?
Prof. Dr. Tanja Pütz hat eine klare Meinung dazu, die ich absolut teilen kann. Sie stellt zunächst fest, dass Digitalisierung eigentlich eine Vereinfachung darstellt. Sie macht uns effizienter (abgesehen, von der Zeit, die wir damit „verdaddeln“). Sie ermöglicht u.a. Netzwerke, das Teilen von Wissen und ganz neue Kooperationsmöglichkeiten. Seit vielen Jahren sind wir bereits von digitalen Prozessen umgeben! Seit wann gibt es das Internet? Seit wann kaufen wir online ein? Seit wann nutzen wir digitale Kommunikationsmittel (Chats, mail…)? Seit wann gibt es digitale Uhren, oder Waagen?
Statt uns dem Stress der Digitalisierung hinzugeben sollten wir sie beachten, jedoch ohne sie über zu bewerten! Kinder sind „digital natives“, sie nutzen die Geräte viel selbstverständlicher als so mancher Erwachsene! Sie sind nicht mehr aus unserem Leben wegzudenken, wir nutzen sie. Das ist gut so. Ihre Nutzung sollte nebenbei geschehen und nicht Oberhand übernehmen!
Die Herausforderung, vor der wir stehen ist eher die
Sichtbarmachung aller digitaler Prozesse und das Verstehen derer!
Also das Begreifen dessen, was hier abläuft! Das Begreifen von abstrakten Vorgängen, ihr Verstehen und die Weiterentwicklung. Somit ist also nicht die Nutzung die Herausforderung, sondern das Verstehen. Um uns dies verständlich zu machen, zeigt uns Tanja Pütz ein kurzes Video.
Gerade die Montessori-Pädagogik nutzt uns dazu. Sie bietet Verstehen von Abläufen, fördert die Konzentrationsfähigkeit und stellt ein Gegengewicht zur digitalen Welt dar. Mit ihrer Entschleunigung und der Möglichkeit, den Lernprozessen Zeit zu geben ist sie aktueller denn je.
Anforderungen dazu bestehen an den Menschen: Lernen braucht Beziehung, der Mensch braucht Beziehung! Pädagogische Prozesse lassen sich nicht digitalisieren! Kindern Inhalte zu bieten ist pädagogische Arbeit, das bedeutet Beziehungsarbeit im absolut analogen Sinn! Konkrete Fragen werden von Menschen beantwortet.
Ihr Fazit:
Montessori braucht keine digitale Schönheitskur. Digitalisierung soll sinnvoll genutzt werden, Tanja Pütz warnt vor einer Überbewertung. Dieses Thema konnte ich am nächsten Nachmittag noch vertiefen.
Arbeitskreis „Vorbereitete Lernumgebung im Zeitalter der Digitalisierung“
Zunächst stellten wir uns den Fragen, was Digitalisierung sei und was sie für uns bedeute. Es kam eine stattliche Sammlung zusammen. Letzten Endes ist Digitalisierung eine Technik zur Datenverarbeitung, sie besteht aus Binärcodes (2 Zeichen: ja/nein, 0/1, an/aus oder wahr/falsch). Eine kurze, knackige Erklärung habe ich in diesem Video gefunden. Beim Schreiben kommt mir der Gedanke, wie leichtsinnig es in unserer komplexen Welt es doch ist, all das Geschehen (Globalisierung usw.) in ja oder nein, richtig oder falsch zu verteilen und diesem System eine solche Macht zu geben!
Die Technik (Digitalisierung) alleine hat für uns Menschen keinen Wert. Es sind die Inhalte, die es spannend machen. Daher schließt sich die wichtige Frage an: Welche Inhalte bieten wir an? Um diese Frage beantworten zu können fragten wir uns zunächst, vor welchen pädagogischen Herausforderungen wir stünden.
Es sammelte sich:
- Mut offline zu sein
- Persönlichkeitsentwicklung
- Mittel zum Zweck
- Strukturen geben, anbieten erkennen = die Logik dahinter verstehen
- Leistungsdruck nehmen
- Entschleunigung (Montessori-Pädagogik ist die kultivierte Langsamkeit – T. Pütz)
- Kinder inspirieren, nicht bespaßen
- soziale Kompetenzen wie Kommunikation und Kooperation
- Elternberatung
- Sinneserfahrungen ermöglichen
- „analoge“ Erlebnisse
- Naturerfahrungen
- und mehr…
Eine 2008 veröffentlichte Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung „Eltern unter Druck - Selbstverständnisse, Befindlichkeiten und Bedürfnisse von Eltern in verschiedenen Lebenswelten“ zeigt, dass Eltern sich ständig überfordert fühlen. Das hat sich in den letzten 11 Jahren seit dieser Zeit sicher nicht verbessert. In meiner Umgebung, den Gesprächen und Erfahrungen zeigt sich dies noch viel stärker und dieser Druck wird dann oft mit Schuldruck an die Kinder weiter gegeben.
Doch was ermöglicht Lernen erst?
Was macht Kinder stark für die Herausforderungen, die wir noch gar nicht kennen? Was befähigt sie, in der digitalisierten Welt ihren Weg zu gehen und diese Technik gewinnbringend und auch kritisch für sich zu nutzen, ohne sich dadurch beherrschen zu lassen?
BEZIEHUNG!
Das bedeutet, Beziehung ist wichtiger denn je! Beziehung anbieten – in Elternhaus, wie in Schule – mit den Kindern in Beziehung gehen. Von Naturvölkern weiß man, dass sie ihre Kinder nicht unterrichten, sondern dass diese alles für sie Wichtige im Alltag, im Umgang, im Tun lernen. Statt Kinder ständig zu Belehren und ihnen Wissen und Kompetenzen zu vermitteln, sollten wir Interesse am Kind und seinen Bedürfnissen haben!
Es geht also um Reduktion, um Entschleunigung. Und wenn schon Kompetenzen – das Zaubermittel der Gegenwart (!), dann die Kompetenz der ABSTINENZ! (Christoph Möller)
Tanja Pütz stellte uns einige simple analoge Spiele vor, die im Sinne des „Turning Tumble“ aus dem oben verlinkten Video, Kinder die Logik der Digitalisierung verständlich machen. Z.B. Move it – bonsai, Rush Hour, Schach, Ministeck, Quirkle, IQ Blox oder Tempelfalle und viele ähnliche. Diese Spiele schulen Konzentration, Strategie und vorausschauendes Denken. Sie entschleunigen, denn Denken und überlegtes Handeln braucht Zeit.
Digitalisierung ist nicht alles!
Für mich bestätigte sich meine Haltung, die Digitalisierungswelle nicht ganz so groß zu sehen, sondern all diese Technik in den Alltag zu integrieren, wie es für mich sinnvoll ist, mich kritisch damit auseinander zu setzen und diese Haltung auch mit den Kindern und Jugendlichen zu diskutieren, sie ihnen vorzuleben. Beziehung birgt mehr Entwicklungspotenzial als die hochgelobte Digitalisierung!
Sie legte uns noch einige sehr schöne Zitate dazu aus. Eines möchte ich hier wiedergeben:
„Kinder und Jugendliche müssen erst einmal in den eigenen Körper hineinfinden. In dieser Zeit sind Medientechniken gut, die körpernäher sind: Schreiben mit der Hand, Rechnen mit dem Kopf. Medienerziehung sollte auf der Medienevolution aufbauen.“
Bert te Wildt
Mein Fazit:
Ich bin froh, in meiner Haltung bestätigt zu sein. Fühle mich gestärkt für Diskussionen.
Ich bin mir bewusst, dass wir Kindern außer der Fähigkeit, die Technik zu verstehen, einen verantwortungsvollen und kritischen Umgang damit thematisieren müssen. Das geht nicht mit kurzgefassten Projekten oder externen Trainern. Das ist Alltag. Es muss in jedes Fach einfließen. Jeder Erwachsene muss dazu eine Haltung haben. Meiner Meinung nach können diese ruhig verschieden sein, so dass die Jugendlichen verschiedene Meinungen dazu erleben und diskutieren können.
Es geht nur gemeinsam...
Auf keinen Fall möchte ich die Eltern aus der Verantwortung lassen. Sie sind es, die ihren Kindern, oft viel zu früh, die Endgeräte kaufen und zur Verfügung stellen. Wie viele Eltern wissen gar nicht, was ihre Kinder damit alles machen? Wie ist die Medienerziehung zu Hause verankert? Gibt es Diskussionen, gemeinsame Auseinandersetzung damit, Grenzen? Wie alles in ihrer Entwicklung müssen Kinder auch diesen Umgang lernen. Ich möchte es sogar mit der Ernährung vergleichen. Bewusst oder kritiklos… Digitalisierung ist allgegenwärtig. Ich kann sogar einen Heizkörper über eine App steuern. Doch muss der Kühlschrank selbständig einkaufen?
Nun bin ich gespannt, was Ihr dazu sagt…