29. October 2019
von Alexandra Lux
5 Gründe für Noten, die ich für unsinnig halte
Immer mehr werden Noten in Frage gestellt. – Immer öfter wird vehement an Ihnen fest gehalten. Noten gehören zur Schule, wie das Amen in die Kirche. Und tatsächlich kommen sie da auch her. Noten wurden in Klosterschulen erfunden. Die genaue Zeitangabe schwankt von Quelle zu Quelle. Wahrscheinlich stammen sie aus dem 16. Jahrhundert Die Jesuiten wollten den Unterricht strukturieren und führten die Klassenbildung ein. Ich las einmal (leider weiß ich nicht mehr wo…), dass ein lehrender Mönch einen begabten Bauernsohn in seinem Unterricht hatte, der jedoch auf Grund seines Standes keine Möglichkeit hatte, über die übliche Mindestschulzeit (Grundbildung) hinaus zur Schule gehen zu dürfen. Das wollte der Mönch nicht hinnehmen und erfand die Noten um zu beweisen, dass der Junge intelligent genug war, eine höhere Schule zu besuchen. Heute dienen uns Noten dazu, den Kindern dies zu verwehren! Übrigens wurde 1938 die Ziffernnote „6“ eingeführt, vorher gab es nur fünf Abstufungen.
Noten verwalten in unserer Leistungsgesellschaft also ein Berechtigungswesen. Es geht um Besitz und gesellschaftliche Positionen!
Von den Noten-Befürwortern höre ich immer wieder – unter anderem – folgende fünf Gründe:
1. Noten sind wichtig!
Für was? Für die Auslese? Für die Besitzstandwahrung? Weil es schon „immer“ so war? Weil es halt so ist? – Das sind für mich schwache Begründungen! Ich habe noch keine Antwort darauf bekommen, die ich wirklich nachvollziehen kann! Wir leben nun mal in einer Leistungsgesellschaft! Ich habe nichts gegen Leistung, möchte aber mal hinterfragen, ob wir DIESE Leistungsgesellschaft wirklich wollen und ob sie zukunftsfähig ist!
2. Noten zeigen uns, wo das Kind steht!
Ach ja? Wie? Wann stehen Kinder? Äußerlich selten, innerlich wohl nie! Eine Note ist eine Momentaufnahme, bis sie auf dem Test steht, hat sich das Kind schon längst wieder weiterentwickelt und wahrscheinlich ist das Testergebnis schon längst überholt!
3. Ohne Noten wird ja nicht gelernt!
Hmmmm…. wenn Kinder auf dieses System konditioniert sind, wahrscheinlich nicht, denn ihnen wurde die Lernfreude genommen. Und dann frage ich mich zusätzlich, wie Babys, Kleinkinder und Erwachsene lernen. Sie bekommen nämlich keine Noten. Wie erwirbt man sich sein Hobby? Es wird viel ohne Noten gelernt, oder?
Zum wirklichen Lernprozess gehört es, dass man auch Fehler machen darf. Wir lernen aus Fehlern! – Aber nicht, wenn sie rot angestrichen werden und uns dadurch als Versager abgestempelt werden.
4. Noten Motivieren!
Noten sind ein Belohnungs- und Bestrafungssystem. Wenn wegen der Noten gelernt wird, ist das von Nachhaltigkeit und Wissenserwerb weit entfernt. – Das gilt auch noch im Studium, wenn die Studenten auf der Jagd nach ihren Scheinen und Punkten sind!
Echte Motivation kommt von innen heraus und kann nicht von außen verordnet werden. Noten können sogar Angst verursachen und sorgen so für echte NOT!
5. Noten sind objektiv.
So gar nicht.. Noten zeigen den punktuellen Wissenstand in der entsprechenden Vergleichsgruppe. Außerdem zeigen diverse Studien, dass Lehrer die selben Arbeiten ganz unterschiedlich bewerten! Auch beeinflusst die Schrift oder die Reihenfolge der korrigierten Arbeiten!
Verlassen wir uns nur auf die Noten, die in den Zeugnissen aufgeführt werden, sehen wir nur einen geringen Teil der menschlichen Persönlichkeit. Dort wird nur Leistung aufgeführt, die als wichtig erachtet wird. Musische-künstlerische, soziale, emotionale und persönliche Kompetenzen bleiben gänzlich unbeachtet! (Sport-, Kunst- und Musiknoten möchte ich überhaupt nicht erwähnen, denn da möchte ich die praktischen Fähigkeiten nicht verglichen haben!!!)
Untersucht man mit einem standartisierten Test die mathematischen Leistungen verschiedener Klassen, ergeben sich trotz gleicher Punktzahlen verschiedene Noten mit bis zu DREI (!) Stufen Unterschied! (vgl. Ingenkamp, Karlheinz (2008): Lehrbuch der pädagogischen Diagnostik. 6., neu ausgestatt. Aufl., Weinheim: Beltz. S. 146.)
„So kann ein/e Klassenlehrer/in die Leistungen der Schüler/innen in der Regel nur mit denen der Mitklässler vergleichen. Daraus folgt, dass das objektiv bessere Testergebnis eines guten Schülers in einer durchschnittlich herausragenden Klasse, gleich oder sogar schlechter als ein objektiv schlechteres Ergebnis eines mittelmäßigen Lernenden in einer durchschnittlich schlechten Klasse, beurteilt wird. Das bedeutet, dass die Schulnotenvergabe anhand einer lokalen sozialen Bezugsnorm ausgerichtet wird.“
Jan-Niklas Bühring
Jan-Niklas Bühring hat sich für ein Portfolio während seines Lehramtsstudiums mit diesem Thema und dem Übertrittsverfahren nach der 4. Klasse auseinander gesetzt und ein Gedankenexperiment dazu verfasst. (Beide vorangegangenen Absätze sind ein Auszug daraus)
Und es geht noch weiter:
Man weiß sogar, dass die Noten im Vergleich von städtischen oder ländlichen Gebieten, sowie in Landkreisen völlig verschieden ausfallen! Das kann doch nicht daran liegen, dass Kinder dort mehr oder weniger intelligent sind!
Ad absurdum führt sich das so hochgelobte „objektive“ und leistungsabbildende Notensystem dann in den Zugangsvoraussetzungen bei bestimmten Studiengängen. Der Nummerus clausus ist nichts anderes als eine Zugangsbeschränkung. Oder in der Einstellung und Übernahme von Junglehrern nach ihrem Studium und 2. Staatsexamen! Angeblich werden nur die besten Absolventen für unsere Kinder in den Schulen ausgesucht. Werden in einem Jahr wenige Lehrer benötigt, wird der Notenschnitt für den Eintritt in den Schuldienst nach unten gesetzt, dann gibt es weniger Anwärter, die eine Stelle bekommen. Braucht man aber in einem anderen Jahr mehr Lehrer, wird der Notenschnitt einfach nach oben gesetzt. – Nur die Besten?????? Das heißt einmal ist ein Junglehrer mit dem Schnitt 2,1 gerade noch gut genug und ein anderes Mal ist auch ein junger Lehrer mit dem Schnitt 3,6 noch in Ordnung????
Diese Regelung ist offensichtlich, in den Medien, jedem bekannt und niemand wundert sich darüber? Ich kann einfach nicht verstehen, wie sich unsere Gesellschaft mit diesen Tatsachen einfach abfinden kann und abspeisen lässt… weil es halt schon immer so war? Dann hätten wir weder Autos, noch Spül- oder Waschmaschinen, von Computern und Handys ganz zu schweigen! Medizin, Technik, alles entwickelt sich weiter und an den Noten aus dem 16. Jahrhundert halten wir noch immer fest????
Was können wir ändern?
Mein dringlichster Wunsch ist es, dass wir alle beginnen kritisch nachzudenken und Althergebrachtes kritisch zu hinterfragen, ob uns das in der Gegenwart und Zukunft auch noch dienlich ist. Ich wünsche mir, dass ein Umdenken stattfindet und eine gesellschaftliche Haltung entsteht, die es den Bildungsminiserien erlaubt, die Noten abzuschaffen.
Es gibt ja nicht nur meine Meinung, da bin ich auch nicht alleine. Es gibt viele spannende und eindeutige Untersuchungen und Meinungen von Fachleuten, dass Noten nicht mehr zeitgemäß sind!
Wer mehr lesen will:
- „Das Dilemma mit den Schulnoten“ – ein Dossier von Barbara Kerbel auf der Seite der Bundeszentrale für politische Bildung.
- „Das sagt die Wissenschaft über Noten“ – Das deutsche Schluportal
- „Argumente #23: Warum die Reformer auf Granit beißen“ - Pädagokick - Ein pädagogischer, wissenschaftsorientierter & bildungspolitischer Kick
- „Probleme bei der Leistungsbeurteilung“ - Pädagogik-News - Neuigkeiten aus der Pädagogik