15. November 2024

von Alexandra Lux

Warum ich für die Ganztagsschule bin

… aber nur, wenn sie gut gemacht sind

Beim Thema Ganztagsschule schlagen viele die Hände über dem Kopf zusammen. Den ganzen Tag Schule! Andere dagegen jubeln, sie sind der Meinung, dass der Staat endlich dafür sorgen muss, Beruf und Familie vereinbaren zu können.

Mein Schlüsselerlebnis

Vor vielen Jahren habe ich im Rahmen meiner Montessori-Ausbildung in verschiedenen Montessori-Schulen hospitiert. Unter anderem auch in den Niederlanden. Ich durfte einen kleinen Einblick in das dortige Schulsystem bekommen.



Ich ging also morgens auf die Schule zu und sah viele Eltern mit ihren Kindern zur Schule kommen. Die Kinder hatten einen kleinen Rucksack, obwohl sie doch Schulkinder waren. Ich war verwirrt. Natürlich fragte ich die Lehrer dann Löcher in den Bauch und staunte nur noch Bauklötze! Nicht nur, wie Schulen in den Niederlanden organisiert waren, sondern wie dieses Schule es umsetzte und welches Selbstverständnis sie lebte.

Die Kinder kamen am morgen in einer „Gleitzeit“ von tatsächlich einer Stunde (zwischen 8:00 und 9:00 Uhr) an. Mit einem Rucksack, in dem ihre Brotzeit und ein Getränk ist. Keine große, schwere Schultasche mit Büchern und Heften. Die Kinder kamen also ganz entspannt an. Die Familien hatten zu Hause Zeit, ihre Morgenroutinen zu leben. So waren die Kinder in der Schule, bekamen dort ihr Mittagessen und konnten zwischen 15:00 und 16:00 Uhr abgeholt werden. Eine Ganztagsschule also. Ich sah sie gehen. Sie flüchteten nicht aus der Schule, sondern sie schlenderten, fröhlich erzählend und lachend davon.

Mein Herz ging auf

Denn ich erfuhr auch die Hintergründe. Die Kinder sollten entspannt in die Schule kommen, mit Freude. Die Schule versteht sich als familienunterstützend und als Ort, an dem das Lernen der Kinder im „schulischen“ Sinn stattfindet. In den Familien sollte Lernen auf eine ganz andere Art stattfinden. Im Alltag, in Beziehung mit den Eltern und Geschwistern, bei Ausflügen und gemeinsamen Unternehmungen. Denn Familienzeit ist Beziehungszeit. Diese Beziehung sollte nicht von schulischen Aufgaben gestört werden. Das kann mit einer Ganztagsschule funktionieren.

Kannst du dir vorstellen, wie mir der Mund offen stand? Und das zu einer Zeit in der in Deutschland noch keiner von Ganztagsschule sprach. Es gab einen Hort, oder Tagesheime (was für ein gruseliges Wort).

Dieses Hospitation war purer Seelenbalsam. Denn diese Haltung spürte man auch im Schulalltag. Dieses Erlebnis und diese Erkenntnisse brannten sich ganz tief in mein Herz ein und prägten meine Vorstellung von Schule. Nicht nur von Montessori-Schule.

Ganztagsschule? Den ganzen Tag Schule? Auf keinen Fall!

So erlebte ich hier in Deutschland noch vor 15 Jahren die Situation. Niemand konnte sich vorstellen, die Schule seinem Kind den ganzen Tag zuzumuten. Tatsächlich kann ich das verstehen. So, wie Schule oft er- und gelebt wird, möchte ich das auch niemandem den ganzen Tag antun!

Heute ist die Einstellung eine andere. Denn viele Familien brauchen eine Ganztagsbetreuung. Zudem gibt es auch politischen Druck, Ganztagsschulen zur Verfügung zu stellen. Diese Einführung habe ich in München auch als externe Honorarkraft mitbekommen.

Vorteile der Ganztagsschule für Eltern

Die Kinder sind ganztägig untergebracht. Sie müssen nicht in einen Hort gehen, Gebäude und Bezugspersonen wechseln. Alles in einer Hand. Noch dazu kostenfrei. Denn Schule ist in Deutschland ja frei. Eltern zahlen nur für das Mittagessen. Hort oder Mittagsbetreuung dagegen kosten Gebühren. Dafür sind sie flexibler bzgl. der Abholzeiten.

Es sind ganztägig Lehrer anwesend, das Lernen kann „entzerrt“ werden, es fallen keine Hausaufgaben an, denn die Übungszeit wird in der Schule erledigt.

Die Kinder sind in der selben sozialen Zusammensetzung und haben so ihre Schulfreunde den ganzen Tag um sich. Müssen sich also am Nachmittag nicht auf eine andere Gruppe einstellen.

Was ich unter einer guten Ganztagsschule verstehe

Ich bin absolute Verfechterin der Ganztagsschule. Aber eben NUR, wenn sie gut gemacht ist. Was ist gut? Das Konzept der Montessori-Pädagogik eignet sich für einen rhythmisierten Ganztag einfach perfekt. Rhythmisiert bedeutet, dass sich Lern- und Erholungsphasen abwechseln. Dass Kinder aber auch ihren Interessen nachgehen können und in ihrem Tempo lernen können. Weg vom einheitlichen Gleichschritt.

Denn Schule im Gleichschritt ist per se schon mal nicht menschen- und lernfreundlich. Und schon gar nicht den ganzen Tag! Das macht auch niemand im Beruf. (Fließbandarbeit einmal ausgenommen) Externe Kräfte, die außerschulische Aktivitäten anbieten, bringen Abwechslung und neue Erfahrungen.

Oft werden Ansätze davon in Regelschulen umgesetzt, doch die Rahmenbedingungen sind einfach noch viel zu eng gesetzt. Montessori-Schulen oder freie Schulen haben da mehr Gestaltungsmöglichkeiten. So kann das Lernen in der Schule unter vielen verschiedenen Bedingungen stattfinden. In verschiedenen Settings, verschiedenen Erwachsenen. Die Kinder können wählen, welche Angebote sie für einen bestimmten Zeitrahmen machen möchten.

Und so können Familien ihrer ursprünglichen Aufgabe, die Beziehungen zu pflegen, gemeinsam Zeit zu verbringen, schöne Dinge zu erleben – auch den Alltag, nachkommen. Es kann nicht sein, dass Schule den Familienalltag bestimmt und Stress dadurch entsteht! Hausaufgabenstress und das Gefühl von Eltern, Ersatzlehrer zu sein gibt es in meiner Welt nicht. Sondern Kinder, die gerne in der Schule sind und ihre Zeit mit ihren Eltern entspannt verbringen können. Dazu gehört natürlich auch eine Veränderung der Arbeitswelt der Eltern.

Ganztagsschule heißt also nicht den ganzen Tag Schule, wie wir sie kennen.

Freiwilligkeit

Und noch zwei wichtige Punkte gehören in meine Welt:

Freie Wahl der Schule, ohne Zahlungen. Also keine Unterscheidung in Regel- und Privatschule. Sondern die freie Gestaltungsmöglichkeit JEDER Schule. So gibt es verschiedene Profile und Eltern können entscheiden, was zu ihrem Lebenskonzept passt. Keine Sprengel-Regelungen mehr.

Freie Wahl, ob und wann ich in die Schule gehe. Also das Homeschooling-Konzept, das es in vielen anderen Ländern gibt. (Deutschland ist weltweite eines der wenigen Länder, in denen es eine Schulhausanwesenheitspflicht gibt; andere Länder haben eine Bildungspflicht) Also kann jede Familie entscheiden, ob das Kind in eine Schule geht, oder zu Hause lernt. Dabei bin ich nicht gegen Schulen! Und mehr Flexibilität beim Schulbesuch. D.h. es gibt auch mal „Auszeiten“ oder selbst genommene Freitage. Das bedingt dann, dass es keinen „Gleichschritt-Unterricht“ mehr gibt, in dem man viel verpasst, wenn man mal nicht da ist.

Schule ist ein Ort der Begegnung und des Forschens. – Ach … es gäbe so vieles zu verändern … Es ist so vieles möglich. So viele Beispiele zeigen, wie es geht. Und es funktioniert. Man darf durchaus auch mal weg von ständiger Kontrolle und der Angst, dass es in Selbstverwaltung aus dem Ruder läuft.

Und ich weiß, eines Tages werde ich es auch in Deutschland erleben. Bis dahin engagiere ich mich dafür und säe viele Samen und inspiriere viele Menschen, anders zu denken und ihr Herz dafür zu öffnen!

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